
WHO im Jahr 2019: Resistenzen gegenüber Antibiotika sind eine der größten Bedrohungen der globalen Gesundheit.
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Leitlinie Parodontitis – Weniger Diagnostik trotz steigender Antibiotikaresistenzen?
Was besagt die neue S3-Leitlinie1? Wie treffe ich als Zahnarzt eine verantwortungsvolle Therapieauswahl, die einerseits eine wirksame Behandlung ermöglicht und gleichzeitig den immer größeren Herausforderungen im Rahmen der steigenden Antibiotikaresistenzen gerecht wird?
Herausforderung Antibiotikaresistenzen
Die zunehmenden Antibiotikaresistenzen stellen mittlerweile ein sehr ernstzunehmendes Problem dar. Weltweit sterben nach Schätzungen jährlich rund 700.000 Menschen an Infektionen, bei denen aufgrund von Resistenzen kein Antibiotikum mehr wirksam war.
Die alarmierenden Ausmaße der Antibiotikaresistenzen spiegeln sich dementsprechend auch darin wider, dass diese Anfang 2019 von der WHO als eine der 10 größten globalen Gesundheitsgefahren eingestuft wurden.
So warnte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus: „Die Antibiotikaresistenz droht, 100 Jahre medizinischen Fortschritts zunichte zu machen.“ Eine Lösung dafür zu finden sei eine der dringendsten Herausforderungen im Gesundheitsbereich.
In vielen Ländern würden mehr als die Hälfte der Antibiotika falsch eingesetzt, so die WHO – und kritisiert damit auch Ärzte. Um das Resistenzproblem in den Griff zu bekommen, wurden Programme wie z. B. das „Antibiotic Stewardship“ aufgesetzt, die einen rationalen Antibiotikaeinsatz sicherstellen sollen.
Ein Kernelement dieser Programme ist, dass Antibiotika ausschließlich unter Berücksichtigung der folgenden Bedingungen verabreicht werden sollen2:
- die richtige Indikation für den Antibiotikaeinsatz,
- Auswahl des richtigen Antibiotikums mit Wirksamkeit gegenüber den in Frage kommenden Erregern mit möglichst schmalem Wirkungsspektrum und wenig Nebenwirkungen,
- richtige Applikationsart, richtige Dosierung und richtige Therapiedauer, die so kurz wie möglich und so lang wie nötig sein sollte,
- Vermeidung von Breitbandantibiotika oder Kombinationspräparaten
Die Verantwortung bleibt in der Zahnarztpraxis
Die neue Leitlinie empfiehlt als Therapie erster Wahl die Kombinationstherapie mit Amoxicillin und Metronidazol, obwohl es in den Erläuterungen zum Hintergrund der Entscheidungsfindung heißt, dass „keine evidenzbasierte Aussage zur eventuellen therapeutischen Überlegenheit eines spezifischen Antibiotikums oder einer spezifischen Antibiotikakombination“ gemacht werden kann.
Wenn keine der miteinander verglichenen Therapieformen eine signifikante therapeutische Überlegenheit besitzt, dann sollte – gemäß Antibiotic Stewardship – die Therapie mit dem schmalsten Wirkspektrum erste Wahl sein – und das wäre die Monotherapie mit Metronidazol, die in der Leitlinie als alternative Therapie genannt wird.
Dabei ist bekannt, dass die alleinige Therapie mit Metronidazol nicht gegenüber Pathogenen wie z.B. Aggregatibacter actinomycetemcomitans (A.a.) wirksam ist. Ist dieser Keim am Krankheitsgeschehen beteiligt, muss daher zur o.g. Kombinationstherapie mit zusätzlichem Amoxicillin gegriffen werden.
Diagnostik für eine gezielte Therapie
Die Entscheidung für eine gezielte Therapie mit dem schmalsten Wirkspektrum kann somit nur über den entsprechenden Erregernachweis erfolgen.
Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Aussage der Leitlinie, dass „die Auswahl keimspezifischer Antibiotika auf Basis von mikrobiologischen Testergebnissen nicht sinnvoll erscheint“ als fraglich. Neue Studien zur Vielfalt der mikrobiellen Zusammensetzung in parodontalen Taschen zeigen regelmäßig, dass sich bei schweren Parodontitiden insbesondere die bakteriellen Spezies vermehren, die Sokransky bereits in den 90er Jahren mit Parodontitis assoziierte – die Keime des orangen und roten Komplexes. Die fortgeschrittene Umwandlung des Biofilms lässt sich daher durch den zuverlässigen Nachweis der bekannten Marker-Pathogene inklusive A.a. effizient erkennen.
Die mikrobiologische Diagnostik erfüllt so die oben genannte Kernforderungen zur Resistenzvermeidung und ermöglicht dem Behandler und Patienten die optimale Therapie zur Bekämpfung der Infektion mit den geringsten Nebenwirkungen.
Empfehlungen des Robert Koch-Instituts
Wie unverzichtbar die mikrobiologische Diagnostik ist, betonen auch die „Grundsätze der Antibiotikatherapie“ der „Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie“ (Kommission ART) am Robert Koch-Institut: „Die mikrobiologische Diagnostik hat einen hohen Stellenwert, da nur bei Kenntnis des ursächlichen Erregers die bestmögliche Therapie durchgeführt werden kann“, sowie: „Eine empirische Therapie mit Breitspektrumantibiotika oder mit Antibiotikakombinationen ist nur in wenigen klinischen Situationen angezeigt. Zu diesen gehören z.B. die Therapie von lebensbedrohlichen Infektionen oder die Behandlung von abwehrgeschwächten Patienten.“
1S3-Leitlinie: Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie, AWMF-Reg.Nr. 083-029, Stand: November 2018
2Abele-Horn et al., Bundesgesundheitsblatt 2018, 61: 572-579