25. Februar 2016

Sepsis: Neuer Schub für Diagnose und Therapie

Forschung - Trotz mehr als 30 Jahren intensiver Therapieforschung ist die Sepsis auch heute noch eine der häufigsten Todesursachen. Mit verbesserten Diagnostika, Antikörpertherapien und frisch identifizierten Targets soll nun die Mortalität deutlich gesenkt werden.

Schnelligkeit ist alles, wenn es darum geht, dem Killer Nummer 3 in Deutschland Paroli zu bieten. Täglich 162 Menschenleben kostet die Sepsis - 150.000 Sepsisfälle pro Jahr zählt das Kompetenznetz SEP-Net. Mit jeder Stunde, die die meist durch Bakterieninfektionen hervorgerufene systemische Entzündungsreaktion unbehandelt bleibt, steigt die Mortalität um 10%. Doch viele Sepsisfälle werden gar nicht als solche erkannt oder die Erreger erst diagnostiziert, wenn Symptome wie Blutdruckabfall, Mangeldurchblutung der Organe und dadurch bedingtes Muiltiorganversagen nicht mehr durch die gezielte Antibiotikabehandlung zu stoppen sind.

"Wahrscheinlich könnte ein Drittel der Sepsis-Todesfälle in Deutschland verhindert werden, wenn sie früher erkannt würden", schätzt der Jenaer Intensivmediziner Konrad Reinhart, Präsident der Global Sepsis Alliance. "Die hohe Mortalitätsrate ist vor allem in der langen Zeitspanne bis zur eindeutigen Diagnose begründet", so Antje Rötger, Geschäftsführerin der Carpegen GmbH. Ihr Unternehmen ist Teil des im Februar mit 3,5 Mio. Euro von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens ausgestatteten Pathosept-Konsortiums. Koordiniert vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) wollen die Firmen Merlin Diagnostika, Carpegen und Jüke Systemtechnik binnen drei Jahren ein Gerät konstruieren, das die Zeit bis zur Auswahl des richtigen Antibiotikums gegen bakterielle Sepsiserreger von derzeit mindestens 20 Stunden halbiert. "Konzeptaufbauten sollen möglichst schnell an den Unikliniken Aachen und Bonn getestet werden", erklärt FIT-Koordinatorin Anja Linnemann.

"Ohne einen möglichst schnellen Nachweis des zugrundeliegenden Erregers und dessen Antibiotikaresistenzprofils kann die Ursache der Sepsis nicht wirksam bekämpft werden", erklärt Linnemann. Biomarkertests wie der seit Ende Januar von ThermoFisher Scientific und Samsung Electronics vertriebene BRAHMS Procalcitonin (PCT)-Schnelltest helfen zwar binnen 20 Minuten, eine mikrobiell bedingte Sepsis von andern systemischen Entzündungen zu unterscheiden. Doch genau wie PCR- und Microarray-Schnelltests zum Nachweis der Erreger-DNA oder die Profilierung von Entzündungsmediatoren ermöglichen die laut Linnemann nützlichen und kompletmentären Assays "keine eindeutige Aussage über Antibiotikaresistenzen". Rötger pflichtet bei: "Ohne Kultivierungsschritt geht es nicht."
Die Pathosept-Forscher kombinieren deshalb Carpegens PCR-Schnelldiagnostik mit einem sogenannten Wachstumsmonitor. "Das System sortiert oder isoliert zunächst die Bakterien anhand von Oberflächenmarkern oder Färbungen", erklärt Linnemann. "Dann werden die Bakterien in Standardmedium - ohne die Inhibitoren, die in Blutkultur oft das Wachstum stören -, vorkultiviert, bis knapp 10.000 Zellen vorliegen. Auf einem miniaturisierten Wachstumschip kann anschließend ihr Wachstumsverhalten unter Einwirken verschiedener Antibiotika optisch detektiert werden. "Nach Standardisierung soll die minimale Hemmkonzentration des einzusetzenden Antibiotikums nach 8 bis 10 Stunden vorliegen. Wermutstropfen: Bis zur Serienreife braucht es "mindestens noch fünf Jahre".

Antikörper auf dem Vormarsch 

Zeitlgeich zur Etablierung von Schnelldiagnostika wie Curetis' Unyvero-System oder integrierten Erreger-DNA- und Zytokinnachweisen durch Anbieter wie Cubedx, T2 Biosystems oder Immunexpress nähren neue klinische Daten die Hoffnung auf die erste Sepsis-spezifische Therapie. In Patienten mit beginnenden Sepsis-bedingten Organschäden begrenzte der anti-Komplemetfaktor C5a-Antikörper IFX-1 der Inflarx GmbH in Jena sowohl die Organfehlfunktion als auch die Dauer der künstlichen Beatmung (vgl. S. 32). Wie Inflarx setzen zahlreiche Arzneimittelunternehmen derzeit auf die möglichst frühe Eindämmung lebensbedrohender Sepsis-Symtome (vgl. S. 39) und der Entzündung mit Antikörpern. Ziel dabei: Zeit gewinnen, damit Antikörpertherapien greifen können.
Noch selten, aber aussichtsreich ist aus Sicht von Titus Kretzschmar, Chef der erst im Oktober gegründeten Schweizer 1abtik AG, vor allem das Multitargeting: "Wir werden mit hochpotenten Antikörperfragmenten gleich drei Signalwege ansteuern, um die überschießende Entzündungsreaktion möglichst früh zu bremsen."

Transkript, 3/2016